Archive sind grundlegend für die Bewahrung des kollektiven Gedächtnisses einer Gesellschaft. Das deutsche Bundesarchiv beherbergt etwa 540 Kilometer Schriftgut, 15 Millionen Bilder und mehr als 60 Petabyte Daten - eine immense Menge an Archivalien, die kontinuierlich wächst. Archivar:innen stehen vor der Herausforderung, den Transformationsprozess hin zum Archiv der Zukunft zu bewältigen, indem sie analoge Bestände digital zugänglich machen und eine sichere digitale Infrastruktur etablieren.
Gleichzeitig birgt die digitale Transformation das Potenzial, dass Archive perspektivisch mehr als nur Gedächtnisinstitutionen sein werden; sie können zur Zukunftsressource werden. Durch die Bereitstellung strukturierter, benutzerfreundlicher und innovativer Daten können Archive Forschung, Verwaltung und Politik in Entscheidungsprozessen unterstützen und den Bürger:innen Meta-Einblicke in die Gesellschaftsgeschichte ermöglichen.
Auf dem Weg hin zum Archiv als Zukunftsressource spielen technologische Innovationen eine entscheidende Rolle.
Possible hat gemeinsam mit der Bundesdruckerei einen Bericht verfasst, der das Ziel verfolgt, aufzuzeigen, wie öffentliche Archive zu Zukunftsressourcen werden können und welche Rolle Technologien dabei spielen. Die vollständigen Erkenntnisse finden Sie im Dokument.
Wie können öffentliche Archive zur Zukunftsressource werden und welche Rolle spielen Technologien dabei? Diese Frage untersuchen wir in unserem Bericht in vier zentralen Kapiteln:
Wir identifizieren im Archivprozess fünf relevante Arbeitsschritte, den vorarchivarischen Prozess (1), die Bewertung (2), die Bestandserhaltung (3), die Erschließung (4) und die Bereitstellung & Benutzung (5). Für jeden dieser Schritte bieten technologische Lösungen Potenziale, um Archive zukünftig intelligent-vernetzt, nutzerzentriert und resilient zu gestalten. So können beispielsweise intelligente Records Management Systeme bereits im vorarchivarischen Prozess bei der Verwaltung und Identifikation archivwürdiger Unterlagen unterstützen, während Natural Language Processing im Schritt der Bereitstellung und Benutzung bei der Beantwortung von Nutzeranfragen Archivar:innen unterstützen könnte.
"Digitale Archivierung ist eine große Herausforderung. Dabei sind die großen Archive fleißig dabei sich zu professionalisieren und das weiter auszubauen. Bei manchen kleinen Archiven ist man mit einem gewissen Verzug dabei, sich die professionellen Grundlagen erst mal anzuschaffen. Das ist ein Prozess, der noch über viele Jahre dauern wird."
Christian Rausch, Archivschule Marburg
In unserem Bericht präsentieren wir konkrete Beispiele für den erfolgreichen Einsatz technologischer Innovationen. Die folgenden zwei Best Practices machen deutlich, wie Innovationen die Arbeit in Archiven unterstützen können.
Crowdsourcing von kontextspezifischem Wissen (Projekt Miiifybot in Großbritannien)
In Großbritannien wird mit dem Projekt Miiifybot seit 2018 untersucht, wie ein Open-Source-Format die Einbindung von freiwilligen Expert:innen optimieren und gleichzeitig Desinformation und Missbrauch vorbeugen kann. Mittels des eigens entwickelten Chatbots „Miiifybot“ können freiwillige Expert:innen ihr Wissen zum Archivgut, dass in einer virtuellen Galerie in einem Mozilla Hub28 ausgestellt ist, einbringen. Der Chatbot ist dabei für die Messaging-Plattform Discord konzipiert, die wiederum in das Chat-System des Mozilla Hubs integriert werden kann. Ein wichtiger Bestandteil der Infrastruktur des Bots ist der Web-Annotationsserver Miiify, der mit einer verteilten Datenbanktechnologie nach den gleichen Prinzipien wie GitHub aufgebaut ist. Alle Beiträge, die über Miiifybot durch die Freiwilligen vorgeschlagen werden, durchlaufen dadurch einen Überprüfungsprozess via GitHub, bevor sie in der virtuellen Galerie eines Mozilla Hubs für immersive 3D-Erlebnisse veröffentlicht werden. Das Nationalarchiv profitiert seit Jahren von der Arbeit von Freiwilligen, die das Archiv auf dem Weg zu einer inklusiveren Institution hin durch ihr Crowdsourcing-Engagement unterstützen. Ein ähnlicher Ansatz könnte auch in deutschen Archiven zur Einbindung und Nutzung des Wissens freiwilliger Expert:innen angewendet werden.
Exploration des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz in einem dafür konzipierten Lab (Projekt KI-Labor in Norwegen)
In Norwegen wird in einem KI-Labor das Potenzial von KI in Bibliotheken, Archiven und Museen untersucht. Es befasst sich mit Fragen wie: Inwiefern kann KI die Erstellung von Metadaten automatisieren? Inwiefern kann KI die Bedeutung von Texten verstehen? Inwiefern Bilder klassifizieren und beschreiben? Ein Team aus Bibliothekar:innen und Data Scientists führt eigene Forschungstätigkeiten durch, entwickelt KI-Modelle und stellt Datensätze für die Weiterverarbeitung von Dritten bereit. Unter anderem wurden folgende Projekte ins Leben gerufen: ein inhaltsbasiertes Empfehlungssystem für Bilder und Bücher („Maken“), eine Art „ChatGPT“ („NB-GPT-J-6B“) auf Basis von Bibliotheks- und Internetdaten, und eine Beta-Version einer automatischen Spracherkennung („NB-Whisper Beta“) basierend auf Whisper von OpenAI und trainiert mit Onlinedaten der Nationalbibliothek und Språkbanken, einer Ressource für Sprachtechnologien und linguistische Forschung der Universität Göteborg.
„Der Markt ist durchaus größer geworden, was die kommerziellen Anbieter der digitalen Langzeitarchivierung betrifft. Da tut sich doch einiges."
Daniel Baumann, Stadtarchiv München
In unserem Bericht werfen wir einen Blick in die Zukunft und präsentieren drei Zukunftsbilder eines modernen öffentlichen, von innovativen Technologien geprägten Archivs.
Was wäre, wenn sich Behörden und Archive als ein gemeinsamer Datenschatz verbinden?
Das Archiv der Zukunft greift auf qualitativ hochwertig aufbereitete Registraturdaten aus den Behörden zurück und verfügt über einen reibungslosen Übergang via Schnittstellen zwischen Behörden und Archiven. Alle relevanten Archivmaterialen sind erschlossen und digital zugänglich. Einheitliche Standards sorgen dafür, dass Inhalte innerhalb und zwischen Archiven auf intelligente Weise miteinander verknüpft sind.
Was wäre, wenn digitale Archive zur Grundlage für eine neue archivarische generative KI für historisches Wissen werden?
Der Zugang zum Archiv der Zukunft ist für die Öffentlichkeit möglichst barrierearm gestaltet und stark auf die Bedürfnisse diverser Nutzergruppen zugeschnitten. Akteure aus Forschung, Verwaltung und weitere Interessenten können assistiert von technologischen Tools ortsungebunden recherchieren, auf Dokumente zugreifen und die Daten der Archive bestmöglich für ihre Arbeit nutzen.
Was wäre, wenn Archive auf einer sicheren digitalen Infrastruktur basieren, die vor Cyberangriffen und Verlusten von Archivgut schützt?
Als historisches Gedächtnis der Demokratie bietet das Archiv der Zukunft eine sichere Infrastruktur gegen 'Gedächtnisverlust'. Durch die Implementierung modernster Cybersicherheits-Maßnahmen sind Archive geschützt gegen unbefugten Zugriff und Manipulationen von außen. Außerdem schützen langfristig nutzbare Medienträger und Backups gegen Datenverlust im Inneren, während neueste Technologien bei der Erschließung, Restaurierung und Bestandserhaltung analoger Materialien unterstützen.
Um das Potenzial der technologischen Innovation greifbar zu machen, wagen wir anhand drei fiktiver Personas einen Blick in den Archivalltag der Zukunft: Wie Karl, Anna und Elena im und mit dem Archiv der Zukunft arbeiten erfahren Sie im Bericht.
Den Abschluss des Berichts bilden konkrete Handlungsempfehlungen, welche Maßnahmen Archive, Politik und Verwaltung sowie Ausbildungsinstitutionen ergreifen können, um das Ziel eines intelligent-vernetzten, nutzerzentrierten und resilienten Archivs zu erreichen.
Die Vollversion des Berichts können Sie oben herunterladen.
Für weitere Informationen steht Ihnen Friederike de Weerth gerne zur Verfügung
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